Auf dem Parteitag in Halle hat sich eine Gruppe Menschen in der Vorhalle des Versammlungsortes zusammengetan um sich "progressiv" gegenüber dem "konservativen" Wahlverhalten der Versammlungsmehrheit als Parteiflügel zu manifestieren.
Diese Gruppe, die sich in der Vorhalle zusammentat, machte mich wütend. Nicht, weil sie ein Gegengewicht zu dem, was sie selbst nicht mittragen wollten, etablieren wollten. Die Anberaumung dieser Veranstaltung sollte etwas abseits passieren, sodass sie nicht von Leuten aus der Versammlung hätten nieder gemacht werden können. Das ist legitim. Das ist nicht mein Problem. Diese Vermutung habe ich einigen "Konservativen" in der Versammlung mitgeteilt die mir dann auf Twitter später nachts bestätigt wurde.
Doch das Gefühl, dass sich hier ein "wir" gegen ein "ihr" noch stärker manifestiert, ärgert mich. Ein Parteiflügel, der eine Partei vielfältiger und demokratischer macht, könnte viel mehr sein als ein gemeinsamer Identifikationspunkt von dem man Andere betrachtet und gegen diese agiert.
Manifeste, greifbare Parteiströmungen, sind in meiner Sicht demokratischer und transparenter als diffuse Meinungsgruppen, die auf Twitter haten und sich in Ragelines gegenseitig in ihrer Wut auf "die Anderen" bestätigen.
An dieser Stelle erlabe ich mir, aus dem Nähkästchen zu plaudern:
Ich habe mich seit ich mir politisch eine Auffassung zusammentragen konnte als progressiv eingestuft. Ich wurde von Freunden, Familie, Mitmenschen meistens als jemand bezeichnet, der viel zu früh geboren wurde. Viel zu vorwärts für diese Welt. Müsste mich am besten einfrieren und in 1000 Jahren wieder aufwachen. Futurama. Ihr kennt das.
Dieses Selbstverständnis, welches für mich den Ankerpunkt meiner politischen Tätigkeiten bildet, wurde verletzt. Mimimi. Ich wurde nicht eingleaden und fühlte mich übergangen von einer mir elitär erscheinenden Clique. Ich bin denen wohl nicht gewogen genug. Meine Nase passt wohl nicht. So fühlte ich mich. (Und ich kann meinen Arsch darauf verwetten, dass ich nicht alleine bin.)
Solche Gefühle hat jeder Mensch hin und wieder. Ausnahmslos. Sowas gegebenenfalls als Schwäche zu kategorisieren bestärkt noch viel mehr Struktren die undurchlässig werden können und Menschen ausschließen. In einer Partei, die für Plattformneutralität und Möglichkeitenermöglichung stehen sollte.
Noch trauriger fand ich, dass meine Wut wohl als Bosheit ausgelegt wurde, dass ich als jemand gesehen wurde, der ihre Gruppe angreifen und vielleicht sogar ihre Legitimation anzweifeln wollte.
Schade. Denn dem ist nicht so.
Mir schadenfroh erscheinende "du magst doch nur uns pösen Berliner Gendersternchen nicht"-Kommentare von Leuten, die es hätten besser wissen können, waren noch weitere Stiche in die Magengrube. Und für mich ein Zeichen, dass diese Leute noch immer nicht sehen (wollen?), dass Leute wie ich "Gendersternchen" nicht aus bösartigem Maskufantum ablehnen, sondern weil sie uns als sprachliches Mittel nicht inklusiv genug sind.
Mitgemeint. Das ist doch der Grund, warum es Gendersternchen gibt. Damit im generischen Maskulinum das Femininum nicht nur mitgemeint wird.
Doch dass ich
a) Dudda und Sekor gewählt habe und
b) erst positiv überrascht war, dass Lauer als weitere Alternative zu den
bisherigen Kandidaten sich zur Wahl stellen wollte, war leider nicht sichtbar.
Doch Lauers Gepolter
und sein Verhalten auf der Bühne machten mich stinkesauer. Gerade weil
ich so enttäuscht wurde. Die Rede war eine wundervolle politische Rede.
Exzellentes politisches Gespür hätte er jedoch erst dann bewiesen, wenn
er die gesamte Versammlung hätte mit nehmen können anstatt zu sticheln
und verbal zu verletzen.
Genauso genervt und verzweifelt war ich, als ich viel Zeit auf und um den Parteitag damit verbrachte, Leuten in meinen Reihen zu erläutern, dass Ankes Rede sehr wohl angebracht und verdammt wichtig ist und ihre "Angst vor der Versammlung" nicht aufgrund ihrer Ausdrucksweise und Lagerzugehörigkeit einfach abzutun ist. In solchen Fällen ist es ratsam, Gefühlsäußerungen in der Rede im Raum stehen zu lassen, Anke gelten zu lassen und den Kern ihrer Aussagen - Wir sind hier doch alle da, um den Überwachungsstaat und Totalitarismus zu bekämpfen - wahr zu nehmen.
Und ja, ich kenn das mit dem Bammel vor einer Gruppe, von der ich den berechtigten Eindruck habe, dass sie mich nicht mögen.
Ich habe diesen Bammel vor einigen Leuten, die sich als feministisch bezeichnen, aber mir gegenüber sich großkotzig wie die schlimmsten Macker behnehmen. Weil ich "es nicht verstehe". Leute, die mich als Antifeministin bezeichnen, ohne mich zu fragen, was ich wirklich will.
Ich war auch in eher alltäglichen Situationen um den Parteitag verzweifelt, als ich brötchenschmierend in der Ferienwohnungküche stand - als Frau doch sicher für alle ganz klassich die Arbeit mache.
1. Ich bin keine "Frau", nur weil ich diesen Körper bewohne, also lass mich mein Frühstück machen und in Ruhe aufwachen. Moron. (Gedanken eines unausgeschlafenen Menschen sind einfach noch nicht gesittet, sorry for my French.)
2. Hör mit dieser sexistischen Grütze auf, die Frauen zurecht wütend macht. Weil sie wütend sind und jeden Tag diese Grütze über sich ergehen lassen müssen, werden sie für Leute, die unbedacht sexistsche Grüze verteilen, ungemütlich. Das nennt sich Teufelskreis, Amigo.
Ich hoffe, dieser kleine Ausschnitt aus meinen persönlichen Erleben kann einen kleinen Einblick geben, wie es zwischen diesen Lagern in einem scheinbaren Vakuum aussieht. Wie die Lebensrealität ist, wenn man einerseits progressive Positionen, andereseits auch die Seite der scheinbar Konservativen nachvollziehen kann.
Wir sind alle mal in eine Partei eingetreten, die mit "Klarmachen zum Ändern" auftrat.
Daher rege ich hiermit die Etablierung der Neutralen Zone in der Piratenpartei an. Denn die Perspektive zwischen den den vermeintlichen Tellerrändern könnte nützlich sein:
Sammelpad Neutrale Zone
Neutrale Zone Wikiseite