Donnerstag, 20. Juni 2013

Ich gehe nicht ins Reservat, Frau Merkel

Nachdem die ersten Lachsalven zu   #neuland  schon verklungen sind, kamen auch die ersten mäkelnden oder mahnenden Stimmen auf die meinen, ja die Merkel hat aber Recht. 

Im Prinzip ist es korrekt - Eine Lebenswelt die jünger ist als ich selbst, ist ganz klar ein "Neuland". Aber das ist egal. 

Es geht hier aber nicht um eine richtige oder falsche Aussage. Es geht um die Haltung der Kanzlerin, die Haltung der Regierung und ihren Umgang mit der Wirtschaft. (Ja, es ist verallgemeinernd was ich sage, deal with it!)  Diese auf mich symbiotisch wirkende Clique kann ziemlich viel über das Netz sagen und dabei meistens ziemlich beschissen auf mich wirken.

Es ist ziemlich schwer es mir, einem Netzbürger, recht zu machen. Weil ich der die das Netzbürger für die Mitglieder dieser Clique scheinbar halb kriminell bin, ein schmarotzender Vielnutzer und ein Mensch der sowieso "kein Leben" hat, weil ich ja im Netz lebe. Meine Kultur ist für sie "kurios" (Ich hasse dieses Wort!) , höchstens ein Modetrend und gerne auf einer Ebene mit flotten Sprüchen auf Klowänden betrachtet. Und das kann noch freundlich sein. 

Mein kulturelles Selbstverständnis, mein Selbstverständnis als autonymer, selbst benannter Mensch der mehr auf Usernamen oder Screennames (Nein, für mich sind das keine falschen Namen sondern Teil des Ausdrucks eines Menschen der Welt gegenüber. Keine Lüge.) gibt als irgendwelche amtlichen Zeichenketten  - wirkt auf die Mitglieder dieser Clique, die sich auch mal "Elite" schimpfen mag, verdächtig. Ständig verdächtig doch zu klauen, zu rauben, Bombenanleitungen zu konstruieren, um diese  mit dem 3D-Drucker in die physische Welt zu pressen. Ich bin fremd. Meine Welt ist denen fremd. Immer noch. Nach den großen Debatten 2009 scheint sich nur an der Oberfläche was gebessert zu haben. 

Und genau dieses Fremdeln, das ist das was in Merkels Aussage viele Netzmenschen so zum Lachen und zum Weinen bringt. Denn die Witze über  #neuland  sind einfach nur dem Galgenhumor zuzuordnen. Die Clique der Geld, Revenue, Income und Turnover wichtiger ist als ein freier Kulturraum, die kann ich nicht ernst nehmen wenn es darum geht Netzpolitik zu machen:

Steckt euch eure Marktlogik dortin wo die Sonne nicht scheint. Ihr rafft immer noch nicht, dass das Problem mit dem Urheberrecht eigentlich ein Problem eines Freien Kulturraums ist welcher sich in großen Teilen dagegen wehrt durchökonomisiert zu werden. Capice? Savvy? 

Ich bin Netzbürger, für Merkel somit vielleicht ein Ureinwohner. Ich werde nicht ins Reservat gehen, damit Anzugträger mit Powerpointpräsen meine Welt weiter kaputtmachen können. Es ist schon schlimm genug wie es jetzt ist.

Leute: Hört auf uns nachzuspionieren, uns zu verdächtigen, uns zu belächeln und unsere Welt drosseln zu wollen. Dann reden wir weiter. Auf Augenhöhe. 

Und *deswegen* bin ich gestern an die Decke gegangen als die ersten Stimmen kamen, dass die Netzbürger doch die kleinen Arschlöcher im Baumhaus seien die so elitär abgehen und niemanden rein lassen wollen derdiedas ihnen nicht passt. Dafür lieber über Merkel lästern die doch eigentlich recht hat. Recht hat? Hat sich einer dieser mäkelnden Stimmen überhaupt mal das gesamte Zitat in seiner Pracht angesehen?


Das Internet ist für uns alle Neuland und es ermöglicht auch Feinden und Gegner unserer demokratischen Grundordnung natürlich mit völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen unsere Art zu Leben in Gefahr zu bringen

 Die Kanzlerin redet hier von "Feinden" und "Gegnern" - Ziemlich drastische Worte. Sie springt vom Neuland direkt zu den Gefahren und den fiesen Arschgeigen die im Netz lauern. Kein Wort über einen munter belebten Kulturraum der auch den ganzen Geldhirnen einiges an Füllung bieten kann. Sie redet nur von Feinden, Gegnern und Gefahren für "unsere Art zu Leben". Hey, toller Aufbau eines "Wir" gegen ein "die da". 

Und genau das ist es warum ich so wütend lache. 

Deal with it. 


3 Kommentare:

  1. Neuland? Im Prinzip gibt es das Internet schon seit 1969, wenn man die erste Inbetriebnahme von ARPANET als Ausgangspunkt nimmt. Das hat nur damals kaum jemand mitbekommen, weil alle so mit der Mondlandung beschäftigt waren. In den 1970ern kamen dann noch das UUCP-Netzwerk und das Usenet. In den 1980ern entstand dann durch die Fusion der Netze mittels TCP/IP das Internet, wie wir es heute kennen, wobei damals auch noch das CSNET, NSN (Nasa Science Network) und das MILNET dazukamen.

    Bis 1984 war das Internet auf die USA und Kanada beschränkt, dann schloß das CERN sein CERNET per TCP/IP mit dem amerikanischen Internet zusammen. 1988 ging es dann los, daß Universitäten und Forschungszentren überall in Europa und Ostasien ans Internet gingen.

    Und jetzt? Bemannte Raumfahrt ist nahezu tot, aber das Internet ist überall. Und es ist nicht "neu", es hat eine jahrzehntelange Geschichte hinter sich. Es ist nicht Mitte der 90er plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht, es wurde nur für kommerzielle Nutzung geöffnet, wodurch auch normale Menschen ohne Rechenzentrums-Account an einer Uni ins Internet konnten.
    Wenn man sich das Internet ansieht, dann ist es lange Zeit exponentiell gewachsen - erst in jüngster Zeit macht sich eine Sättigung bemerkbar. Die ersten 25 Jahre ist dies Wachstum kaum aufgefallen - ob da nun ein paar Dutzend Rechner zusammenhängen oder ein paar Tausend, das ist global beides nicht viel. Wenn aber jeden Monat Zehntausende von Usern neu hinzukommen, dann gucken die Leute auf einmal.

    Das Internet hat seine eigene Geschichte, und es ist kein "Neuland" oder "Wilder Westen", sondern ein gewachsener kommunikativer Raum, der seine eigenen Regeln erschafft. Die Öffnung des Netzes für die Allgemeinheit ab Mitte der 90er brachte die Kultur des kostenlosen Teilens von digitalen Daten jedoch in Konflikt mit dem Copyright-Regime, das Daten als Handelsware betrachtet. DAS ist das Dilemma, in dem wir heute stecken.

    Die Konzerne - seien es ISPs, die uns die Leitung ins Netz liefern, seien es Content-Verwerter, die Musik, Filme, Zeitschriften, Bücher, Software verkaufen, sehen das freie, offene Netz als ein Problem, weil es keinerlei technische Maßnahmen beinhaltet, mit denen man es kontrollieren und unerwünschte Einflüsse draußenhalten kann. Diese Leute sehnen sich zurück nach den geschlossenen, zentralisierten Netzen wie AOL, CompuServe, BTX/Datex.J usw. - und tun alles, um die Netzneutralität aufzuweichen und offene Hardware- und Software-Plattformen zu torpedieren, um das Internet in seiner heutigen Form zu zerstören und durch Remakes dieser alten Netze zu ersetzen.

    Und das ist das große netzpolitische Problem unserer Zeit. Mit Politikern, für die das Internet "Neuland" ist, ist dieses Problem nicht zu lösen.

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