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by-nc-sa Sprengben http://www.flickr.com/photos/sprengben/4462026879/ |
Wir sehen die klügsten, verständigsten Menschen im gemeinen Leben Schritte tun, wozu wir den Kopf schütteln müssen. Wir sehen die feinsten theoretischen Menschenkenner das Opfer des gröbsten Betrugs werden.
Wir sehen die erfahrensten, geschicktesten Leute bei alltäglichen Vorfällen unzweckmäßige Mittel wählen, sehen, daß es ihnen mißlingt, auf andre zu wirken, daß sie, mit allem Übergewichte der Vernunft, dennoch oft von fremden Torheiten, Grillen und von dem Eigensinne der Schwächeren abhängen, daß sie von schiefen Köpfen, die ihren eigenen Leumund nicht wert sind, sich müssen regieren und mißhandeln lassen, daß hingegen Opportunisten und Speichellecker Dinge durchsetzen, die der Weise kaum zu wünschen wagen darf.
Wir sehen manch Redliche fast allgemein verkannt.
Wir sehen die witzigsten, hellsten Köpfe in Gesellschaften, wo aller Augen auf sie gerichtet waren und jedermann begierig auf jedes Wort lauerte, das aus ihrem Munde kommen würde, eine nicht vorteilhafte Rolle spielen, sehen, wie sie verstummen oder lauter gemeine Dinge sagen, indes ein andrer äußerst leerer Mensch seine dreiundzwanzig Begriffe, die er hie und da aufgeschnappt hat, so durcheinander zu werfen und aufzustutzen versteht, daß er Aufmerksamkeit erregt und selbst bei Gebildeten Leuten für etwas gilt.
Wir sehen, daß die glänzendsten Schönheiten nicht allen gefallen, indes Personen, mit weniger äußern Annehmlichkeiten ausgerüstet, allgemein interessieren. –
Alle diese Bemerkungen scheinen uns zu sagen, daß die gelehrtesten Menschen, wenn nicht zuweilen die untüchtigsten zu allen Weltgeschäften, doch wenigstens unglücklich genug sind, durch den Mangel einer gewissen Gewandtheit zurückgesetzt zu bleiben, und daß die Geistreichsten, von der Natur mit allen innern und äußern Vorzügen beschenkt, oft am wenigsten zu gefallen, zu glänzen verstehen.
Dieser Text stammt nicht von mir. Er wurde vor über 200 Jahren niedergeschrieben. Ich habe ihn sprachlich ein wenig an die Lesegewohnheiten des 21. Jahrhunderts angepasst. Es handelt sich um die Einleitung zum berühmtesten Werk von Adolph Freiherr Knigge: Über den Umgang mit Menschen.
Den Volltext zum alten Werk findet ihr hier. (Projekt Gutenberg auf SPON)
Bild von Sprengben [why not get a friend] via photopin cc
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