Donnerstag, 24. Mai 2012

Gedankenskizze: Es ist die Situation, nicht das Sein!

Disclaimer: Die Klischees im Text dienen der Beschreibung. Sie sind nicht zur Zementierung von Vorurteilen gedacht. 

Wie oft liest man von Studien, vor allem aus der Marktforschung, dass Männer zu 76 % irgendwas mögen oder ablehnen und 56 % der Frauen dies tun. Oder auch nicht. Es muss nicht erwähnt werden, dass dies durchaus Fragen aufwirft: Warum muss ein Geschlecht als determinierenden Faktor angesetzt werden? (Wenn man im medizinischen Bereich von Prostatabeschwerden vs. Menstruationskrämpfe spricht, ist die Geschlechtlichkeit natürlich nicht von der Hand zu weisen.) Aber wenn man heutzutage immer noch von Männern oder Frauen spricht die Kaufentscheidungen treffen, oder auch nicht, kann man jede Statistik so zurechtbiegen um das Weltbild weiterhin aufrecht zu halten welches es zu erhalten gilt. Die Realität ist nicht immer deckungsgleich.

Ich fälle eine Kaufentscheidung weil ich ein Bedürfnis habe. Sei es ein Bedürfnis ein Auto* zu besitzen, weil ich zur Arbeit fahren muss wo der ÖPNV unzureichend ist. Ich interessiere mich sogar für die technischen Details meines Autos, weil ich das faszinierend finden könnte. Muss ich deshalb statistisch eher ein Mann sein? Manche mögen es immer noch gerne so sehen wollen. 

Genauso ist die Einrichtung von barrierefreien öffentlichen Orten wie Bahnhöfen nicht nur an bestimmte Behinderungen gedanklich gebunden. Ein Mensch kann aus vielen Gründen auf eine Barriere stoßen und Schwierigkeiten haben diese zu überwinden. Dies kann eine Gehbehinderung sein, ein Kinderwagen oder auch schlicht Müdigkeit plus schweres Gepäck. Die Situation besteht aus der mangelnden Fähigkeit eine Treppe zum Beispiel zu erklimmen. (Das man dennoch immer noch auf die Bedürfnisse bestimmter körperlicher Konstitutionen eingehen muss, versteht sich von selbst!) 

Menschen die sich des "Kanackisch"* bedienen und sich stark mit Gangkultur (wie auch immer diese im Einzelnen definiert sein möge) identifizieren und teils gewalttätig patriarchale Strukturen pflegen müssen keine "unangepassten Ausländer" sein sondern können genauso auch Inländer sein die sich aus welchem Grund auch immer diesem Lebensstil verpflichtet fühlen. Es gibt dagegen Mitbürger aus fremden Ländern die die hiesige Sprache wunderbar sprechen, im Gegensatz zu manchen Inländern. Es ist kein körperliches Merkmal, keine Herkunft die jemanden zum unangenehmen Zeitgenossen macht. 

Ein Bällebad bereitet Freude. Es ist gar entspannend sich in dieses bunte Meer an Kunststoffkugeln zu legen und sich vielleicht auch mit ihnen zu bedecken. Man muss bekannterweise keine Kind sein um die Vorzüge eines Bällebades zu schätzen. Man kann sich wunderbar vor der Presse verstecken oder sich einfach der Ablenkung durch das bunte Spiel erfreuen. Man muss kein Kind sein um unbeschwerte kindLICHE Freude auszuleben. (Selbstverständlich, oder?)

Der Bezug auf Situationen eines Menschen ist ein Ansatzpunkt den ich gern öfters beleuchtet sehen würde als mehr oder weniger statische Ist-Zustände wie das Geschlecht, die körperliche Verfassung oder auch das Alter. Inwieweit wird die Perspektive der Situation bereits als primäre Perspektive zur Untersuchung sozialer Phänomene verwendet? (Ich gehe davon aus, das dies schon seit längerem betrieben wird aber nicht immer deutlich in Erscheinung tritt.) Wie kann man dafür sorgen, dass durch die Perspektive der Situation die Betrachtung des Menschen gerechter wird? Diese situationsbezogene Betrachtung würde sicherlich auch eine andere Herangehensweise bezüglich Werbung etwa nach sich ziehen. Man würde bestimmte Medien nicht etwa mit geschlechterreduzierenden Bildern vollkleistern sondern Menschen ansprechen die sich für das Thema des Mediums interessieren, wie beispielsweise Technik oder Handarbeit. Man würde den Menschen als flexbles, sich ständig änderndes Wesen begreifen welches sich nicht im Korsett einer Weltanschauung weiter einschnüren lässt.

Meine 2 Cent. 


*Klischeebehaftetes Beispiel

3 Kommentare:

  1. "Inwieweit wird die Perspektive der Situation bereits als primäre Perspektive zur Untersuchung sozialer Phänomene verwendet?"

    Im wissenschaftlichen Zusammenhang könnte man deinen Text als Plädoyer für qualitative Forschungsverfahren verstehen http://de.wikipedia.org/wiki/Qualitative_Sozialforschung .

    Die hebt allerdings auch keine Kategorien auf, sondern dient dazu bestehende zu präzisieren und mitunter neue aufzubauen...

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  2. ganz einfach: Zielgruppenrelevanz. Ich versuche die Erklärung jetzt mal neutral geschlechtsfrei zu halten.

    wenn ich ein $Produkt entwickle und das Gruppe A verkaufen möchte, benutze ich dafür Strategieen, auf welche diese Gruppe erwiesenermaßen gut anspricht. Wenn jetzt trotzdem jemand aus den anderen Gruppen auf die Idee kommt es zu kaufen, finde ich das trotzdem toll.

    Genau das kann man auf fast alle anderen Lebensbereiche übertragen. Die Erfahrung zeigt, dass eine gewisse Gruppe auf ein gewisses Schema zu einem gewissen Prozentsatz anspricht. Ist dieser Prozentsatz ausreichend hoch (oder von mir aus auch niedrig wenn man möchte dass eine Zielgruppe etwas nicht tun soll) kann man den Rest vernachlässigen.

    Bin ich als Mann jetzt besonders weiblich weil ich koche und spüle? Ist meine Freundin besonders männlich weil sie nicht kochen kann, dafür aber programmieren? Man weiß es nicht, dazu sind wir statistisch nicht relevant genug, aber wenn jemand ein Problem damit hat können wir drüber reden!

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    1. Genau wegen dem Paradigma "wir sind wohl nicht statistisch relevant" ist die Situation als riterium wichtig und nicht die Person. Die Reaktion in einer Situation, auch skaliert auf die Masse, mit Berücksichtigung kleiner Nischenreaktionen ist die intelligente Lösung. Zielgruppen sind auch nur Glaubenssache. Man sieht was man sehen will. Es ist eine Definition eines Nebels wenn man es an Ist-Zuständen festmacht. Wenn ich aber die Zielgruppe an "Mensch der keine Treppe hochlaufen kann" festmache dann habe ich keine Einzelpersonen fixiert sondern eine Situation und kann für diese Situation eine Lösung bieten, dann kann ich in verschiedene Untersituationen hineingehen wie "Gehbehinderung" oder "Kinderwagen oder Gepäck".

      Was du erzählt ist die Widergabe der Mythen die ich eben für nichtig erkläre.

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