“Die Spitze kommt aus Wuppertal”
Ja ich gebe zu, ich war verletzt, als ich hören mußte, dass ausgerechnet die Zeitschrift EMMA mich,
Jahrgang 1964, Piratin seit 2009, und alle meine Mitpiratinnen komplett ignoriert und teilweise diffamiert.
Zu Beginn der Diskussion war es gar nicht so einfach, den jungen Leuten (männlich oder weiblich) zu erklären, warum mich ein Artikel in der EMMA anders trifft als ein Verriss in den üblichen Medien.
Meine Heldinnen Alice Schwarzer und ihre Mitstreiter haben dafür gesorgt, dass ich überhaupt ernst genommen werden wollte in einer politischen Welt, die selbstverständlich von Männern dominiert wurde. Zehn bis zwanzig Jahre älter waren die Frauen, die mir den Weg gebahnt haben mit revolutionären Aktionen (BH-Verbrennungen, Demos gegen §218 usw….).
Und ja, ich als Wuppertalerin fand es toll, dass Frau Schwarzer aus Wuppertal kam und am Ostermarsch teilnahm.
Und weil das so ist , habe ich beschlossen, den ersten Leserbrief in meinem Leben zu verfassen und dazu brauchte ich die aktuelle Emma. Also auf in die Bahnhofsbuchhandlung und nach 10 Jahren anderer Lektüre unter hunderten Zeitungen die Emma finden. Die junge Frau an der Kasse konnte mir sofort helfen und fand es gut, dass ich einen Leserbrief über den Piratenverriss schreiben wollte.
Als ich dann fast aus dem Laden heraus war rief sie mir hinterher :“Die Spitze kommt aus Wuppertal!“ Etwas provokant rief ich zurück:“Die Spitze von Emma oder die Spitze der Piraten?“
Antwort: „Frau Weisband ist Wuppertalerin oder?“
Ich war versöhnt und habe mir dann die aktuellen Artikel über die Piratenpartei angesehen.
Danach war ich dann nicht nur verletzt sondern vollkommen entmutigt. Wenn ich lese, „Freiheit bedeutet Freibrief für alles, was Männern Spaß macht, auch wenn es mit Beleidigung, Belästigung und Gewalt einhergeht,“ dann habe ich meinen Mann und ca. 50 Piraten, die ich persönlich gut kenne, vor meinem geistigen Auge und möchte instinktiv dieses Scheißhausparolen verbreitende Schriftstück ………..naja, egal, entsorgen!
Aber warum? Sonst ist es mir ja auch egal, was Journalisten zur Verteidigung der herrschenden Parteien Diffamierendes über uns schreiben.
Ich habe mit den jungen Frauen der Piratenpartei so viel echte Diskussionen, hoffnungsvolles Ausprobieren neuer Umgangsformen (genderfreie Toiletten) und neue Rollenverständnisse erlebt, dass ich meine uns verteidigen zu müssen.
Ich komme aus der Zeit der Innen (also Bürgerinnen und Bürger usw.) und war über diese Wortungeheuer meist genervt.
Da treffe ich dann auf die Generation, die Pirat und nicht Piratin sein möchte. Das hat was und ist teilweise auch lustig. Wenn mein Mann (auf Wunsch der Frauen) das Wort Piratin vermeidet, dann ist er mit einem Piraten verheiratet. Macht nix, der erste Wowereit der Partei zu werden, triffts aber auch nicht ganz.
Ich bewundere die Frauen (und das sind nicht wenige), die sich betont weiblich kleiden und keine Angst mehr haben, deshalb als schön und doof abgetan zu werden.
Denn das müsst ihr zugeben, liebe EMMA-Frauen, Intelligenz und Sexappeal war 1980 noch sehr schwer verkäuflich. Wir haben uns weiterentwickelt.
Und ich will es nicht schön reden, damals wie heute haben es politisch engagierte Frauen nicht leicht, auch nicht bei den Piraten. Die spielerische Art mit der Brisanz von Männerdominanz umzugehen, gefällt mir aber sehr und zeigt Wirkung. Ihr habt sie teilweise vorgestellt, die Frauen, die heiße Themen anpacken aber ihr redet sie klein.
Vielleicht habt ihr aber auch nicht verstanden, was diese (nächste) Generation für sich in Anspruch nimmt. Sie möchten keinen Frauenbonus (Quote), sie möchten nicht auf „Frauenthemen“ reduziert werden und sie glauben sich selbst ganz gut selber verteidigen zu können.
Und das kann ich Euch sagen, sie sind gut und durchsetztungsstark.
Bei uns darf jeder erst einmal seine Weltsicht erläutern, und natürlich gibt es in dieser Republik genügend aggressive Vollidioten. Denen mit offenem Visier entgegenzutreten und die eigenen Piratenfreunde im Rücken zu wissen, ist sicher aufregender und gleichberechtigter, als von vorne herein vor männlicher Aggression behütet zu werden.
Und noch kurz zu zwei Themen, die mich trotz meiner abgeklärten Weltsicht so wütend machen, dass ich mich eigentlich lieber nicht dazu äußern würde, weil ich als alte Emma-Freundin
da ins Fremdschämen über Eure schlechte Recherche komme.
Frau Ursula von der Leyen und andere nicht sehr technisch begabte Politiker haben ein Stoppschild für Kinderpornogafie gefordert. Jeder Mensch in der damaligen Piratenpartei und in der IT-Branche hat gefordert, dass die Seiten sofort gelöscht werden müssen. Wird eine Betrugsseite ins Internet gesetzt, kann z.B. jede Bank die Seiten sofort löschen.
Das ist verdammt einleuchtend oder? Daraus zu drehen, dass bei den Piraten keine eindeutige Stellungnahme zu Kinderpornografie bezogen wird, ist vielleicht weltfremd, vielleicht aber auch wirklich verachtend.
Ich mache hier jetzt mal Schluss und stelle fest, dass die Emma scheinbar immer noch Revolutionspotential hat, warum müsste ich mich sonst so aufregen? Aber vielleicht hat sich auch eine neue Generation Frauen von ihren (Emma-) Müttern emanzipiert und stellt deren Lösungen (Frauenquote, Innen-Sprache) in Frage.
Warum sonst müsste EMMA so draufhauen?
Mit lieben Grüßen aus Wuppertal von einer Alt-Feministin
Heike Wegner
(Dieser offene Brief ist zuerst im Blog von Nick Haflinger erschienen)