Die Aussage auf der obigen Abbildung ist ernsthafter, als sie zuerst anmutet. Ernsthaftes wird jedoch heutzutage immer noch bevorzugt mit einer Miene verbunden, welche kein Lachen oder Lächeln zeigt, eine Haltung, die nicht fröhlich gestimmt sein sollte. Meistens zumindest. Glitzerregenbogen passen daher sicherlich nicht ins Bild der Ernsthaftigkeit des europäisch geprägten Menschen.* Bei der Lektüre für meine Forschungsarbeiten bezüglich der Klosterkultur im Mittelalter begegnete ich bei einem Essay des Mediävisten Peter Dinzelbacher einer sehr entlarvenden Aussage bezüglich der seriösen Sauermiene:
"Dass der europäische Mensch sich als seriös nur dann empfindet, wenn Ernst sein Verhalten prägt, darf wohl als eine säkularisierte christliche Norm bezeichnet werden, die besonders vom Mönchtum getragen wurde. Zahlreiche monastische Autoren verurteilten das Lachen mit der Begründung, Christus habe wohl geweint, aber nie gelacht (was auch tatsächlich nirgendwo im Neuen Testament steht). Ausgelassenheit ist daher in der traditionellen europäischen Kultur nur im Rahmen der "verkehrten Welt" legitim, beim Karneval. Dem Mönch, dann dem Christen überhaupt, dann seinem säkularisierten Nachfolger geziemt dagegen Trauer oder wenigstens Ernst als grundsätzliche Lebenshaltung." (Essay "Mönchtum und Kultur" (1. Abschnitt: Mittelalter) erschienen in: Kulturgeschichte der christlichen Orden in Einzeldarstellungen, Hg. Dinzelbacher/Hogg, Stuttgart 1997)
Diesen Sachverhalt muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen, vor allem ich als Agnostiker, der die hiesige christlich geprägte Kultur zwar respektiert aber nicht zwangsläufig akzeptiert. Hier sieht man, wie ein kolportiertes Halbwissen bezüglich Jesus und seines angeblichen Gebarens, noch nicht einmal in der Bibel erwähnt, sich über die Jahrhunderte quasi zu einem kulturellen Imperativ entwickelt hat. Andererseits
weiß jeder klar denkende Mensch, dass ein Lächeln einen manchmal weiter bringt als eine ernste Miene zu einem wie auch immer gearteten Spiel. Soviel zur ersten Prämisse voller Widersprüche.
Wir haben hier also ein kulturelles Wahrnehmungsfeld, welches Ernsthaftigkeit oder gar eine traurige Haltung als ernst zu nehmender einstufen vermag, als ein lachendes, fröhliches oder ausgelassenes Verhalten. Sehr oft passiert es gar, dass das Fröhliche dem "naiven", dem "clownesken" oder gar der tumben Massenunterhaltung untergeschoben wird. Das Lachen selbst als kultureller Ausdruck wird in anderen, ortsunabhängigen Kulturgebieten oft anders bewertet. Nehmen wir einmal die Urmutter der "Spaßreligionen", den
Diskordianismus:
"
Ich bin Chaos. Ich bin die Substanz, aus der eure Künstler und Wissenschaftler Rhythmen formen. Ich bin der Geist, der durch eure Kinder und Narren in fröhlicher Anarchie lacht. Ich bin Chaos. Ich bin wieder da und sage euch, ihr seid frei." (
Die Offenbarung)
Dieser Text, wohl in den späten 1950ern ursprünglich in Kalifornien geschrieben, macht diesen Paradigmenwechsel vom christlich geprägten abendländischen/europäischen Ernsthaftigketisfetischismus hin zum aufgeklärten Menschen klar, der sich sehr wohl bewusst ist, dass Spaß nicht nur harmlose Narretei und Kinderkram darstellt. Daher müsste man auch die Konnotation von "Spaßreligion" genauer betrachten: (2 Mal auch im Satz)
1. Spaß ist hierbei nicht als "Nebensache" im "Ernst des Lebens" zu betrachten.
2. Der Spaß ist ernst zu nehmen, die Ernsthaftigkeit mit Humor.
3. Eine Spaßreligion oder Religionsparodie dient dem meist atheistischen/agnostischen Menschen dazu, die irrwitzigen und albernen Auswüchse der Religionsausübung per se zu karikieren. Sie spielt bewusst mit der fehlenden Logik in herkömmlichen Religionen. Eine Spaßreligion hat aber auch einen philosophischen Hintergrund, dessen Ziel es ist, das selbständige Denken zu fördern und dieses mit Freude geschehen zu lassen. Eine Spaßreligion erfüllt aber auch eine Rolle in der Tradition einer Kultur, genauso wie es eine herkömmliche Religion tut. Man betrachte beispielsweise an dieser Stelle lediglich die Rolle des eben erwähnten Diskordianismus im Chaos Computer Club .
Die selben Dinge kann man übrigens auch analog für eine "Spaßpartei" betrachten, da beispielsweise in der Piratenpartei das Ernsthaftigkeitsprimat an ausgewählten Stellen erfolgreich aufgebrochen wird, wo es nicht immer förderlich ist. Noch konsequenter geht die Partei "die PARTEI" vor: Sie betreibt eine gezielte Inversion dieses Paradigmas, in dem sie Ernsthaftigkeit zum Gegenstand des Spaßes macht. Hier sieht man folglich zwei politische Organisationen, die erstere wahrhaftig darin bestrebt, etwas zu ändern und die Zweite als Spiegel des Status Quo agierend, welcher einen Paradigmenwechsel bezüglich der Rezeption von Ernsthaftigkeit, Seriosität und Glaubwürdigkeit im Verbindung mit Humor, Lachen und Ausgelassenheit mit vollziehen könnte. Besonders interessant ist der Gedanke bezüglich "Religion" und Parteizugehörigkeit in Bezug auf die Piraten, denn der Diskordianismus und andere ähnlich geartete Weltanschauungen satirisch-philosophischer Art sind in diesen Kreisen sehr beliebt.
Die Netzkultur an sich, eine Wurzel der Piratenpartei etwa, ist genauso ein sehr messbarer Bereich bezüglich kultureller Ernsthaftigkeit im analogen Alltag und des digitalen Frohsinns als Kulturgut. Um einen sehr schnellen und auch direkt audiovisuellen Eindruck zum Treiben und Betreiben der Netzkultur zu bekommen, kann man sich die Seite
z0r.de zu Gemüte führen. Diese mittlerweile auf 3000 Files angewachsene Flashbibliothek ist ein sehr interessanter Spiegel für viele Netzphänomene. Die Inhalte explizit beiseite gelassen, kann man feststellen, dass die grundlegenden Themen sehr ausgewogen sind. Es gibt ernsthafte, düstere oder auch kontemplative Animationen samt Musik, oder auch dadaistische, kitschige, esoterische, selbstreferenzielle und auch einfach absurde Darstellungen. Besonders anzumerken ist, dass gerade kitschige Darstellungen in dieser Kultur viel mehr Zuwendung finden als beispielsweise in der europäischen Traditionskultur. Dies ist teilweise auf die Einflüsse Asiens zurückzuführen, aber auch sicherlich auf die Tatsache, das man anonym im Netz seinen "Guilty Pleasures" besser frönen kann als offline unter Arbeits- oder Studienkollegen etwa. Mir selbst geht es nicht anders. Inmitten einer früheren Peergroup bestehend aus coolen, rockigen und ernst zu nehmenden Mitstudenten wollte ich nicht jedem auf die Nase binden, dass ich morgens zum wach werden gerne mal ein Happy Hardcore Stück durch die Gehörgänge jage. Ich fürchtete abwertende Blicke und Geläster. Heutzutage in der stetig wachsenden (ver-) Netz(ten) Kultur, findet man:
1. Ohne Scheu vor direkten sozialen Konsequenzen Menschen, mit denen man sich über etwas "abwegigere" Vorlieben austauschen kann, für die man sich sonst der "Coolness" halber, ergo der richtigen Miene und Haltung, schämen müsste.
2. Als Resultat der immensen Vernetzung besonders von nerdigen, geekigen Persönlichkeiten findet man auf der digitalen Kulturebene eine teilweise Verwandlung von Special Interests in ein Massenphänomen. War man früher mit seinen Hobbies und Vorlieben alleine, so findet man heute recht schnell Gleichgesinnte.
Hier vermute ich eine weitere Wurzel des regenbogenfarben-glitzernden Kulturaufstandes gegen das Diktat der Ernsthaftigkeit und einhergehend der "Coolness". Es konnte sich global eine relative Minderheit finden, um eine erneute Mehrheit im relvanten Raum zu bilden. Hier verweise ich wieder auf Seiten, welche die Netzkultur zum Thema haben, oder die selbst eine (selbstreferenzielle) Quelle der Netzkultur sind, wie beispielsweise z0r..de oder auch
knowyourmeme.com (amerikanisch) als "Memführer" für Neueinsteiger.
Das letzte Huhn, welches ich an dieser Stelle rupfen möchte, ist meiner Meinung nach durch den Kapitalismus entstanden. Ganz frei von politischen Idealen möchte ich hier anführen, dass die Entfremdung von den eigenen Früchten der Arbeit, ganz klar das Thema Entfremdung per se, ein Thema geworden ist. Es ist ein Teil unseres Lebens und daher kann man es (leider) nicht wegdenken. Jedoch liegt es auch am Individuum selbst, sich Gedanken zu machen, inwiefern er oder sie sich hier mitreißen lässt in das tiefe, dunkle Loch. Ein gesellschaftliches Problem muss man sich nicht wie einen Mühlstein um den Hals hängen, um es zu verstehen oder gar zu lösen. Das perfide an Literatur oder Filmen etwa, die diese Entfremdung mit Effet thematisieren, sich in das System hineinbegeben und reflektierend aber unkommentiert darstellen. In einem System ist es allerdings schwer, das Gesamte zu überblicken und zu kritisieren. Daher wage ich es an dieser Stelle, diese Form des Kulturellen Ausdrucks auch als "gewollt" zu bezeichnen.Das Problem wird benannt und behandelt (Katharsiseffekt!) aber nicht gelöst. Natürlich gibt es hier löbliche Ausnahmen, die völlig dystopisch entfremdete, überwachte und kaputte Menschen zeigen und den Rezipienten entsprechend aufrütteln. Hier möchte ich nur einmal das berühmte
1984 von George Orwell bemühen.
Zum Schluss möchte ich gerne ein paar Gedanken loswerden, die das Ganze etwas bündeln sollen:
1. Wir haben die Negation des Lachens und der Heiterkeit im (monastischen) Christentum als Normalfall (Ausnahme: Karneval)
2. Wir haben Ernsthaftigkeit als Mittel zur Darstellung von Seriosität auf der säkularen Ebene
3. Gelächter und Lachen sind nicht nur eine Nebensache oder Beschäftigung der Narren, Kinder und Betrunkenen, sondern auch ein Mittel der Rebellion oder der Befreiung. (Siehe Diskordianismus und der Spaßreligionen im Allgemeinen)
4. Die Netzkultur schafft ein Forum für Menschen, die sich diesen Diktaten der Ernsthaftigkeit nicht immer unterwerfen wollen. Lachen, Niedlichkeit und Regenbogeneinhörner sind nicht mehr nur für Kinder!
5. ????
6. Wir fangen an, unsere eigene Kultur auf ihren verschiedenen Ebenen zu reflektieren, und wagen es, neue Wege des Ausdrucks zu finden. Die Idee der humorvollen Wahrnehmung von Ernsthaftem und der ernsthaften Auffassung von Humorvollem ist hier ein relativ alt gedienter, jedoch immer noch ein inspirierender Gedankengang. Das Überdenken von Paradigmen ist schließlich auch ein Beihelfer zur gesellschaftlichen Veränderung.
Daher scheiße ich Glitzerregenbogen auf eure Kulturdepression!
*Ich gehe hierbei explizit vom europäischen Kulturraum aus, weitere Betrachtungen sprengen den Rahmen. Jedoch kann gesagt werden, dass eine neutrale oder auch ernste Darbietung in vielen Kulturkreisen als seriös gilt. Abstufungen und Schattierungen sind zu beachten.