Montag, 6. Dezember 2010

Von Narren im feinen Zwirn und ehrlichen Menschen im Narrenhäs

Das Kleider Leute machen, ist doch eine weitverbreitete Plattitüde.
Wer sich ordentlich kleidet, den kann man ernst nehmen, dieser stellt was dar.
Ein Mensch, der sich in Schlabbertracht zeigt, hat wohl nicht immer gute Karte in gewissen Gefilden. Es ist zwar nicht mehr ganz so strikt wie vor 50 Jahren etwa, doch ist gerade für Blender ein feines Äußeres eine beliebte Tarnkappe, gepaart mit einem charmanten Gebaren.

Dieses Thema "Kleider machen Leute" beschäftigt mich spätestens seitdem ich mich als Pirat näher mit dem politischen Zirkus auseinander setze. Als Nerd mit Hang zur Exzentrik wird man ach zu schnell in die Narrenecke gesteckt. Der Mensch im feinen Anzug wird dagegen vielleicht bei Lobbyisten ganz narrisch und schwach, kommt aber weiter als ein Mensch der zwar sauber gekleidet und gewaschen ist aber sein eigenes Wesen ehrlich präsentiert.

Von Biotopen wie der Kreativwelt oder modernisierten Arbeitswelten, ist es doch sonnenklar, dass gerade in der Politik das vermeintlich Seriöse in Krawatte und Anzug oder Kostümchen die einzig anerkannte textile Visitenkarte sind. Auch ein einst in Turnschuhen vereidigter Landesminister  Joschka Fischer beendete seine beachtliche politische Laufbahn im Anzug vom Maßschneider. (Der Passende Beruf in der Wirtschaft als Berater folge sobald.)

Was lernen wir aus dieser Beobachtung? Ich jedenfalls nehme einen Joschka Fischer in Turnschuhen viel ernster als den scheidenden Staatsmann mit Beratervertrag in der Tasche. Der Erstere ist ein Mensch der ein ernstes Anliegen in die Hochpolitik hineinträgt und sich auch noch durch unwirsches Benehmen Gehör verschafft: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch."* Das ist zwar sicherlich nicht ein Beleg für gute Kinderstube, aber gelackt ist das auch nicht. Jetzt mag man argumentieren, dass so manche Erzkonservative Polterbarden wie Strauß etwa genauso ungehobelt daherkamen, jedoch ergibt sich für mich in Verbindung mit dem modischen Bruch Fischers ein ganz eigenes Bild: Hier gibt es einen Politiker der ganz er selbst ist.

Das ist auch eine sehr demokratische Grundhaltung. Denn Anzug und Krawatte waren und sind noch Zeichen der Angepasstheit an ein Gedankenkonstrukt namens Establishment. Dies ist eine wie auch immer geartete Elite, welche von ihren Mitgliedern und Anwärtern einen Verhaltenscode abverlangt. Diese Normierung ist meiner Meinung nach zu hinterfragen. Wenn man nämlich den Alltag betrachtet, hat man Menschen die in Alltagskleidung zwar auch einem gewissen gemeinsamen Nenner folgen, jedoch wenigstens zwangloser ihren Körper hüllen. Denn seinen wir mal ganz ehrlich. Einen Zweck erfüllt die Krawatte, auch Kulturstrick (sic!) wirklich nicht. Man könnte höchstens einen missliebigen Aufsichtsrat daran durch Bürofluren oder einen nervigen Abgeordneten durch das Parlament schleppen.

Dieser Artikel soll jedoch keine Anzugschelte sein, sondern lediglich für eine demokratische Ansicht der Kleidungskultur sein. Es gibt Personen die sich einfach gerne in Schale schmeißen und darin schier leben. Barney aus "How I Met Your Mother" ist hier ein schönes, überspitztes Beispiel aus der Popkultur. Ohne seine Rüstung bestehend aus Maßanzug, Schlips und Kragen ist diese Figur wie Samson nach seinem biblischen Frisörbesuch im Salon Delila: Machtlos.

Doch nicht jeder fühlt sich in dieser Montur pudel wohl. Es gibt scharenweise Menschen in Banken oder hohen Ämtern, welche im Sommer etwa den Zwangszwirn verfluchen und lieber in lockerer Jeans, von selbstverständlich ordentlicher Art, und einem legeren Hemd ihren Dienst tun würden. Die Qualität der Arbeit selbst wäre jedenfalls gleich. Vielleicht sogar besser, da sich der jeweilige Mensch nicht ständig durch unbequeme Kleidung abgelenkt fühlt. Nicht ohne Grund hat sich ein "Casual Friday" in der Wirtschaft als moderne Tradition der Auflockerung durchgesetzt.

Auch in Bereichen die dem Kundendienst gewidmet sind, die Repräsentation des Unternehmens gefragt ist, wird der Anzug gern zur ehernen Pflicht. In der Politik kann man diese Logik natürlich auch sehen. Man repräsentiert eine Partei, ein Parlament, eine Nation. Daher hat man bitte ordentlich daherzukommen. Eine Dusche, Deo und gebürstetes Haar und die eventuelle Rasur reichen da als Grundvoraussetzungen mittels Körperpflege nicht aus. Warum? Es handelt sich hier um ein Verkleidungspiel der dezenten Art. Wer das Kostüm trägt, wird der jeweiligen Rolle deutlicher zugeordnet und soll diese dadurch auch besser spielen. Menschen denken, vor allem wenn diese alt eingesessen sind, gerne in Schemata. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

Doch genau diese Rollenzuteilung trägt so manches Manko mit sich. Es wird aus einer einst gut gemeinten Präsentationsart ("Wer redlich und ehrlich ist, kleidet sich wohl auch gut.") auch ein Kasperletheater. Man schaue sich doch nur auf der aktuellen Weltbühne (sic!) um: Die Betroffenen giften einem flüchtigen Australier hinterher, der dessen gut gesicherten Fassaden entfernt hat. Meiner Meinung nach könnten die enttarnten Damen und Herren die Anzüge gleich durch Roben beleidigter Patrizier ersetzen. Das wäre zumindest der Ehrlichkeit sehr zuträglich.

Von der anderen Seite haben wir Menschen, die etwas ändern möchten. Zu diesen Menschen die auch der Enttarnung durch den Australier helfen, gehören auch die Piraten. Durch dieses Cablegate rückt die internationale Piratenbewegung immer mehr ins globale Scheinwerferlicht. Was für Menschen sind das? Auch Normalbürger werden nun sicherlich mehr von den Piratenparteien mitbekommen als in den letzten Monaten.

Wie diese Menschen aussehen, das ist nun auch ein schönes Gegengewicht zur etablierten, politischen Schicht. Es gibt unter uns so manchen Menschen die der oben bereits beschriebenen Barney-Gattung angehören. Auch Mr. Assange tritt gerne mal sehr elegant gelkleidet aus seiner jeweiligen Bleibe heraus. Doch sind Piraten auch bekannt für modische Spirenzchen bekannt: Im vereinigten Königreich wurde es auf Anfrage ausdrücklich genehmigt, dass Kandidaten und Unterstützer der Pirate Party UK doch im Piratenoutfit zur Urne schreiten, jedoch seien Insignien der Partei selbst nicht gestattet. Papageien, Augenklappen oder Dreispitze waren jedoch kein Problem. Und genau hier wären wir mitten im Thema angekommen. Piraten verstehen sich als Demokraten die auch hin und wieder mal Kapriolen schlagen in ihrer Selbstdarstellung. Auch ich habe erheblichen Spaß daran symbolisch aufgeladene Albernheiten am Körper zu tragen. Das Warum steht oben.

Was bereits unter einigen Spezialistenpiraten unausgesprochen als Klamottenkonsens gilt, sollte vielen hiermit bewusst gemacht werden: Um ernst genommen werden, bedarf es nicht zwangsweise eines "seriösen" Outfits. Hin und wieder sollte man durch gut überlegte Verkleidungsaktionen oder einfach Vergackeierung Flagge gegen uniformierte Idioten im guten Zwirn zeigen. Ansonsten sollte man einfach Seife verwenden und sich die Haare pflegen. Ein schönes, liebevoll ausgesuchtes Outfit sagt mehr als jede Banker- oder Parlamentariertracht von der Stange. Dies können die wohl gepflegten Lieblingsjeans zum Nerdshirt sein oder auch ein ironisch getragener Anzug zur Krawatte in Orange sein oder auch ein exorbitantes Fashionpiratenoutfit mit Federn, Aluhut und Brimborium sein. Etwas Fingerspitzengefühl für den Anlass noch dabei und das Zeichen gegen undemokratische Kleiderordnungen ist gesetzt. Undemokratisch? Klar! Ein guter Anzug kostet ja schließlich viel Geld. Das kann sich auch nicht jeder leisten (und nicht jeder möchte Diesen tragen)...   



* Zwischenruf, gerichtet an Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen, nachdem dieser den Abgeordneten Jürgen Reents ausgeschlossen hatte, weil er Helmut Kohl als "von Flick freigekauft" bezeichnet hatte, 18. Oktober 1984; zitiert nach Sybille Krause-Burger: "Joschka Fischer. Der Marsch durch die Illusionen." (Wikiquote: Joschka Fischer)

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