Diese Nachlese zu meinem recht misslungenen Vortrag auf der re:publica 2010, sehe ich als Notwendigkeit, meine Gedanken zum dort angeschnittenen Thema darzulegen. Mein Kardinalfehler war wohl zu viele Informationen in eine Stunde packen zu wollen, und zudem zwischen abstrakten Informationen und Trivialitäten zu schwanken. Ganz so wie die schwankenden und schleifenartigen Entwicklungen die ich nun beschreiben möchte - Schlafmangel und Nervosität waren zudem kein guter Begleiter an diesem Tage.
Die Kultur des digitalen Lebensraumes, welches zwar im gedanklichen Zentrum dieser Darlegung liegt, muss aber meiner Meinung nach mit etwas Anlauf angegangen werden. Der Blickwinkel und die Betrachtungsweise verlangen dies.
Nun geht es mir vorerst um die Beschreibung von vielen kreislaufartigen Vorgängen in der menschlichen Kultur. Sei es die Wirtschaft, Mode, Musik oder auch Literatur. All dies entwickelt sich vor der Digitalisierung lokal und breitet sich nur allmählich aus. Erst durch Reisende, Boten und primitive Übermittlungsmethoden. Reisen wird durch die technische Entwicklung schneller und effizienter. Kulturkreise rücken näher zusammen, der Austausch wird reger und schneller.
Das signifikante an der Internetkultur ist die Ballung verschiedenster kultureller Elemente auf einem Globalen Raum. Als Beispiel möchte ich später an dieser Stelle die Nerd- und Geekkultur anführen. Diese Kultur der stark digitalisierten und technisierten Menschen dient für mich als kulturellen Prototypen für eine Globalkultur die jetzt erst im Begriff ist zu entstehen....
Was mich genauso interessiert, ist nicht nur das Verschwinden der Insellagen verschiedener Kulturen auf dieser Erde, sondern auch das Verschwinden der Insellage großer, kultureller Übermittler (Medienanstalten, Mächtige und Kulturikonen), hin zur Vernetzung einer unüberschaubaren Anzahl an Kulturübermittlern, die gleichzeitig immer noch die Konsumenten von früher sind.
Die Überbrückung räumlicher Hindernisse erlaubt es, fremde Kulturelemente in die Eigene Traditionswelt aufzunehmen. Hierbei sind es oft nur Versatzstücke, die wie Neophyten vor sich hinwuchern und fast wie Fremdkörper erst erscheinen. Das Beispiel Halloween in Deutschland ist hier ein hinreichendes Beispiel. Von Kommerz und kulturell adaptiven Menschen angenommen, wird die Übernahme eines ursprünglich irischen Brauchs, welches seinen Weg über den Atlantik nach Amerika, zurück nach Europa fand, nicht selten von Kulturkritikern argwöhnisch betrachtet. Dennoch ist dies aus kulturbiologischer Sicht ein natürlicher Vorgang. Der Japanische Staudenknöterich ist hierzulande eine von vielen Gärtnern verhasste Importplage, dennoch nährt der heimische Boden diese Pflanze und ist nun Wohl oder Übel ein Teil unserer Natur geworden. In der Natur, wie in der Kultur sind es Versatzstücke fremder Ökosysteme (hier betrachte ich Kulturen als gedankliche Ökosysteme, oder wie bei Blackmoore "Memplexe") die sich in den "heimischen" breit machen.
Diese kulturelle Vermengung ist es, die auch eine scheinbare Stagnation in vielen Bereichen der Kultur zur Folge hat. Nehmen wir mal die Mode: Diese entwickelte sich in Europa linear durch viele Epochen hinweg. Schleifenartige Entwicklungen wie die Lockerung der Kleider um Jahrhundertwenden herum (Zeiten der gefühlten Veränderung) oder das Aufbauschen, oder später Verkürzung der Kleider zu wirtschaftlich guten Zeiten, sind deutlich erkennbar. Interferenzen durch fremde Kulturen sind aufgrund der langsamen Übermittlungszeit sporadischer als heute.
Wo früher Modezaren und kleine, adelige oder reiche Bürgerschichten den "dernier cri" vorgaben, wird auch hier die Übermittlung von Kleidungsstilen immer häufiger von der Straße nach oben zur Designermode getätigt. Menschen kommunizieren nicht nur durch Text und Bild, sondern auch durch Kleidung. Heutzutage gibt es keinen Leittrend mehr, wie etwa die Schlaghose in den 70ern oder der Petticoat der 50er. Ich behaupte, das das 20. Jahrhundert mit der Aufteilung der Modeepochen in Jahrzehnten anstatt in Jahrhunderten, vorerst das Letzte der Linearität in der Mode war. Heutzutage wird auf modischer Metaebene nach Interessengruppe, sozialem Status und Herkunft gemischt und getragen was dem jeweiligen Bereich gefällt. Fashionistas der Designerwelt sind nur noch eine Gruppe unter vielen, ja sogar Abnehmer fremder Ideen.
Um die Geschichte hier zu vereinfachen, lege ich die musikalische Entwicklung blaupausenartig über die Mode. Auch hier sieht man nach der langsameren, meist in Jahrhunderten, epochenweise fortschreitenden Musikgeschichte, eine Veränderung, analog zu den Modetrends, in Jahrzehnten voranschreiten: Der Charleston in den 20ern, Rock 'n' Roll in den 50ern und Techno in den 90ern.
Heutzutage ist die Musikwelt mehr und mehr eine Melange aus Musikrichtungen aus der Vergangenheit, nicht selten digital verändert oder lediglich aufgepäppelt. Aktuelle Bands hören sich für Kennerohren wie ein Widerhall der 60er an, Rockgruppen emulieren Klänge aus dem Mittelalter.
Durch die Vernetzung, Technisierung und Digitalisierung sind wir Menschen vielmehr Sender und Empfänger vieler kultureller Inhalte. Wir sind nicht mehr vom Inhalt einer kleinen, abgehobenen Gruppe abhängig. Daher liegt es auch nahe, von einer Öffnung der kulturellen Quellcodes zu sprechen, analog zur Entwicklung in der Softwarewelt. Je mehr offen zugänglich ist, desto besser kann es sich verbreiten und durch Mashups, Bastarde, kreative Einfällen verändert, re-kombiniert und weiter am Leben gehalten werden. War nicht auch Luthers Übersetzung der Bibel, mitsamt Gutenbergs Druckmaschine auch ein Vorbote der Open-Source-Bewegung im digitalen Zeitalter der Gegenwart?
.... to be continued.
Nächstes Mal:
Geek- und Nerdtraditionen unter der kulturbiologischen Lupe
Erm und wo sind jetzt die Lolcats?
AntwortenLöschenTod dem Fashionismus!
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