Dienstag, 25. Mai 2010
Von Geeks, Nerds, Traditionen und kulturellen Schleifen
Die Kultur des digitalen Lebensraumes, welches zwar im gedanklichen Zentrum dieser Darlegung liegt, muss aber meiner Meinung nach mit etwas Anlauf angegangen werden. Der Blickwinkel und die Betrachtungsweise verlangen dies.
Nun geht es mir vorerst um die Beschreibung von vielen kreislaufartigen Vorgängen in der menschlichen Kultur. Sei es die Wirtschaft, Mode, Musik oder auch Literatur. All dies entwickelt sich vor der Digitalisierung lokal und breitet sich nur allmählich aus. Erst durch Reisende, Boten und primitive Übermittlungsmethoden. Reisen wird durch die technische Entwicklung schneller und effizienter. Kulturkreise rücken näher zusammen, der Austausch wird reger und schneller.
Das signifikante an der Internetkultur ist die Ballung verschiedenster kultureller Elemente auf einem Globalen Raum. Als Beispiel möchte ich später an dieser Stelle die Nerd- und Geekkultur anführen. Diese Kultur der stark digitalisierten und technisierten Menschen dient für mich als kulturellen Prototypen für eine Globalkultur die jetzt erst im Begriff ist zu entstehen....
Was mich genauso interessiert, ist nicht nur das Verschwinden der Insellagen verschiedener Kulturen auf dieser Erde, sondern auch das Verschwinden der Insellage großer, kultureller Übermittler (Medienanstalten, Mächtige und Kulturikonen), hin zur Vernetzung einer unüberschaubaren Anzahl an Kulturübermittlern, die gleichzeitig immer noch die Konsumenten von früher sind.
Die Überbrückung räumlicher Hindernisse erlaubt es, fremde Kulturelemente in die Eigene Traditionswelt aufzunehmen. Hierbei sind es oft nur Versatzstücke, die wie Neophyten vor sich hinwuchern und fast wie Fremdkörper erst erscheinen. Das Beispiel Halloween in Deutschland ist hier ein hinreichendes Beispiel. Von Kommerz und kulturell adaptiven Menschen angenommen, wird die Übernahme eines ursprünglich irischen Brauchs, welches seinen Weg über den Atlantik nach Amerika, zurück nach Europa fand, nicht selten von Kulturkritikern argwöhnisch betrachtet. Dennoch ist dies aus kulturbiologischer Sicht ein natürlicher Vorgang. Der Japanische Staudenknöterich ist hierzulande eine von vielen Gärtnern verhasste Importplage, dennoch nährt der heimische Boden diese Pflanze und ist nun Wohl oder Übel ein Teil unserer Natur geworden. In der Natur, wie in der Kultur sind es Versatzstücke fremder Ökosysteme (hier betrachte ich Kulturen als gedankliche Ökosysteme, oder wie bei Blackmoore "Memplexe") die sich in den "heimischen" breit machen.
Diese kulturelle Vermengung ist es, die auch eine scheinbare Stagnation in vielen Bereichen der Kultur zur Folge hat. Nehmen wir mal die Mode: Diese entwickelte sich in Europa linear durch viele Epochen hinweg. Schleifenartige Entwicklungen wie die Lockerung der Kleider um Jahrhundertwenden herum (Zeiten der gefühlten Veränderung) oder das Aufbauschen, oder später Verkürzung der Kleider zu wirtschaftlich guten Zeiten, sind deutlich erkennbar. Interferenzen durch fremde Kulturen sind aufgrund der langsamen Übermittlungszeit sporadischer als heute.
Wo früher Modezaren und kleine, adelige oder reiche Bürgerschichten den "dernier cri" vorgaben, wird auch hier die Übermittlung von Kleidungsstilen immer häufiger von der Straße nach oben zur Designermode getätigt. Menschen kommunizieren nicht nur durch Text und Bild, sondern auch durch Kleidung. Heutzutage gibt es keinen Leittrend mehr, wie etwa die Schlaghose in den 70ern oder der Petticoat der 50er. Ich behaupte, das das 20. Jahrhundert mit der Aufteilung der Modeepochen in Jahrzehnten anstatt in Jahrhunderten, vorerst das Letzte der Linearität in der Mode war. Heutzutage wird auf modischer Metaebene nach Interessengruppe, sozialem Status und Herkunft gemischt und getragen was dem jeweiligen Bereich gefällt. Fashionistas der Designerwelt sind nur noch eine Gruppe unter vielen, ja sogar Abnehmer fremder Ideen.
Um die Geschichte hier zu vereinfachen, lege ich die musikalische Entwicklung blaupausenartig über die Mode. Auch hier sieht man nach der langsameren, meist in Jahrhunderten, epochenweise fortschreitenden Musikgeschichte, eine Veränderung, analog zu den Modetrends, in Jahrzehnten voranschreiten: Der Charleston in den 20ern, Rock 'n' Roll in den 50ern und Techno in den 90ern.
Heutzutage ist die Musikwelt mehr und mehr eine Melange aus Musikrichtungen aus der Vergangenheit, nicht selten digital verändert oder lediglich aufgepäppelt. Aktuelle Bands hören sich für Kennerohren wie ein Widerhall der 60er an, Rockgruppen emulieren Klänge aus dem Mittelalter.
Durch die Vernetzung, Technisierung und Digitalisierung sind wir Menschen vielmehr Sender und Empfänger vieler kultureller Inhalte. Wir sind nicht mehr vom Inhalt einer kleinen, abgehobenen Gruppe abhängig. Daher liegt es auch nahe, von einer Öffnung der kulturellen Quellcodes zu sprechen, analog zur Entwicklung in der Softwarewelt. Je mehr offen zugänglich ist, desto besser kann es sich verbreiten und durch Mashups, Bastarde, kreative Einfällen verändert, re-kombiniert und weiter am Leben gehalten werden. War nicht auch Luthers Übersetzung der Bibel, mitsamt Gutenbergs Druckmaschine auch ein Vorbote der Open-Source-Bewegung im digitalen Zeitalter der Gegenwart?
.... to be continued.
Nächstes Mal:
Geek- und Nerdtraditionen unter der kulturbiologischen Lupe
Mittwoch, 19. Mai 2010
Es gibt noch was zu tun!
Da ich diesen Eintrag nicht zu überfrachten gedenke, beschäftige ich mich hier mal mit einer der vielen Spitzen eines noch existenten Eisberges. Die Werbung. Da ich primär online unterwegs bin, greife ich mir auch die Online- und Technikrelevante Werbung heraus.
In dieser bunten Bilderwelt bekomme ich zuweil gelangweilte Bauchzuckungen. Gerade deutsche Werbebilder sind aufdringlich bis nervig. Als Engländerin kenne ich die sehr phantasievolle und humorvolle Werbung von der Insel. Hier werden wie hier dieselben Trigger wie Sex, Macht und Schönheit verwendet, jedoch meist mit mehr Augenzwinkern und einer schönen Portion Durchgeknalltheit. Diese Faktoren relativieren die schnöden Werbetopoi und entzerren im Kopf festgebackene Rollenbilder.
Als Beispiel nehme ich mal ein saftiges Stück, welches indirekt mit uns Piraten zu tun hat. Es kommt von der Firma des beherzten BPT-Cheforganisators scamp: viprinet.
Dieser recht dürre Hering, umgeben von hübschen Damen, hat mich bei der Lektüre eines Heiseblattes das erste Mal angestrahlt. Mein erster Gedanke dazu war: "Straightforward, German." Geradeaus ist es sicherlich. Allerdings ist diese Redundanz in meinen Augen nicht unbedingt "sicher". Wenn ich mal meine Phantasie laufen lasse, dann könnten die Damen den Mann ausrauben, ihm lauter Kinder andrehen die er alimentieren muss, seine Daten ausspähen und ihn cybermobben,.... ad nauseam. Wäre ich ein Mann, würde ich einem Rudel Frauen in Reizwäsche nicht vertrauen, auch wenn mein Unterleib sicherlich hocherfreut wäre. Die wollen entweder mein Geld oder was anderes, um es zu Geld zu machen. Aber nun genug der Tortenphantasie. Als Engländerin finde ich gerade deutsche Werbung mit Sexkomponente meist langweilig. Es fehlt einfach der ironische, manchmal auch absurde und daher entzerrende Pepp.
Aber schauen wir mal genauer hin. Hier findet Streamlining statt. Der Mann wird auf Heterosexualität und der Gier auf viele Begattungspartnerinnen reduziert. Die Frauen auf die Gier nach einem Mann, egal ob Andere da mitgieren. Ziemlich dröge. Sowas sieht man zuhauf. Ausserdem wird durch die ständige Wiederholung dieser Bilder dieses Konstrukt zementiert. Von Vielfältigkeit, wie wir Piraten es doch so gerne predigen, keine Spur. (Ausser der vielfältigen Auswahl an heterosexuellem Sex für den Mann vielleicht, obwohl die Damen ausser der Haarfarbe und "Kleidung" nicht sehr unterschiedlich erscheinen.)
Gerade nach dem Bundesparteitag in Bingen gingen tolle Beiträge durchs Netz (beispielsweise hier und hier), die piratiges Vernetzungsdenken und eine Abkehr von einförmigen sozialen Körpern thematisieren. Diese Werbebotschaft ist einförmig und auch ironischerweise körperlich: Es zeigt androzentrische Heterosexualität, eine Beschränkung auf die weisse Hautfarbe und auch figürlich angepasst: Schlank bis dürr. Nein, ich will hier keinen zweiten Pixibuchfail aufmachen, sondern einfach mal zeigen, wie solche scheinbar lapidaren Werbebotschaften immernoch alte Ideale des einfömigen, sozialen Körpers hochhalten. Sie erhalten ja immer noch Aufmerksamkeit. Ich würde gerne wissen, ob ein ähnliches Werbemotiv mit einem vernetzten Knäul verschiedener Hautfarben, Figuren, sexueller Orientierungen als sexy Sicherheitsnetz der Redundanz gewirkt hätte als großes Bild auf der Cebit. Ich denke ja. Denn der Sex allein reizt das Auge. Und frische, neuartige sexuelle Bilder reizen noch viel mehr und regen Diskussionen an.
Nach der Sexgeschichte, ist auch Macht ein Thema in der Werbung. Dieses Werbemotiv beinhaltet auch Macht auf zwei Ebenen. Wer Sicherheit hat, hat die Macht. Er kann sich gegen Angriffe wehren. Auch scheint der Mann eine gewisse Machtposition auszuüben, da die Frauen alle "seine" Redundanz zu sein scheinen. Allein die beiden Damen am rechten Rand scheinen sich noch nicht über die Macht des dürren Herings sicher zu sein. Dieser kleine Bruch ist ein Lichtblick.
Um zu den Piraten zurückzukommen, diese versuchen ihre Macht zu vernetzten: Basisdemokratisch ihre Strukturen zu steuern und ohne Personenkult mit Ehrlichkeit und Inhalten Wahlen zu gewinnen. Wenn ich eine Wahlwerbung analog zu dieser Kampagne für die Piraten mir ausdenken würde, dann wären auf dem Bett, aber bitte in Orange, lauter sexy Piraten verschlungen dargestellt, mitsamt einiger Gadgets, Kabel und menschlicher Vielfalt. Die Überschrift würde lauten: Vielfalt schafft Sicherheit. Vor allem wenn die Vielfalt ein Web of Trust ist mit vielen Proxys (Kondome) und so Verantwortung schafft.
Denn das würde auch die Schönheit unserer Partei sehr plastisch und werbegerecht wiedergeben. Schönheit ist nicht nur ein dünnes Knochengerüst in Strapsen oder eine rasierte Heldenbrust, gestählt durch viele Stunden im Fitnesstudio. Schönheit kommt von Menschen die mit sich selbst zufrieden sind und dadurch auch mit Anderen glücklich verbunden sind und was ändern wollen. Das sollte vermehrt abgebildet werden. Auch in vergänglichen, aber oft wiederholten Werbemotiven.
Viele Probleme mit Spaltungen und Unterteilungen in der Gesellschaft werden durch Bilderwelten unterstützt. Dies geschieht nicht immer bewusst, denn meist sucht man Bilder die sich verkaufen. Der Trugschluß, dass das Deppertste, das primitivste auch das Beste sei, der muß revidiert werden. Auch ein guter Schuss Humor und Ironie helfen hier schon ungemein. Daher gilt es in piratiger Medienarbeit auch stets an diese Prinzipien der Vielfalt, der Hinterfragung und des Lachens über etablierte Strukturen zu denken. Das hilft viel mehr als reines Gendering.
Zu guter Letzt möchte ich dem guten scamp mitteilen, dass ich nach dieser Kritik natürlich gerne auch kreativen Input anbiete. Wenn du auf der nächsten Cebit einen draufsetzen willst, dann stehe ich und sicherlich auch andere Piraten, dir zur Ausarbeitung eines tollen Konzepts sehr gerne zur Verfügung. :)
Donnerstag, 6. Mai 2010
Piratenwahl in NRW und in the UK
Heute ging ein saftiger Wahlaufruf der Pirate Party UK durch die Twitterien und piratigen Mailinglisten. Dieser Aufruf stammt aus der Feder von Andrew Robinson, seines Zeichens Oberhaupt UK-Piraten (PPUK). Doch vorstellen möchte ich hier, eine sehr schöne und passende Übersetzung des NRW-Piraten Michele M.:
Ahoi ihr Landratten!
Am Sonntag ist Landtagswahl. Am Sonntag können wir sie das Fürchten lehren. Am Sonntag können wir ihnen zeigen, dass wir nicht länger stillsitzen, während sie uns unsere Rechte beschneiden, unsere Privatsphäre einschränken und uns immer größere Belastungen auferlegen, während sie selbst wie die Made im Speck leben. Am Sonntagzeigen wir ihnen, was moderne und mündige Bürger quer durch unser Land erreichen können, vernetzt mit Technologien, die Schwarz-Rot-Grün-Gelb immer noch nicht richtig verstehen.
Für uns PIRATEN - mehr als für jede andere Partei - zählt jede einzelne Stimme. Es macht nicht viel aus, ob Schwarz-Gelb oder Rot-Grün mit 1000 oder 2000 Stimmen Vorsprung gewinnen, aber jede Stimme mehr für die PIRATEN macht einen Unterschied! Jedes noch so kleine Prozentpünktchen das wir bekommen ist ein Funken mehr Einfluß auf die Entscheidungen in den nächsten fünf Jahren.
Für die meisten von euch wird diese Wahl für Jahre die einzige Chance bleiben, für die PIRATEN zu stimmen, die einzige Möglichkeit, den anderen Parteien zu zeigen, dass sie durch Ignoranz für unsere Themen den Halt im Volk verlieren. Wirf deine Stimme nicht weg! Wähl PIRATEN.
Unsere Mitglieder haben lange und hart daran gearbeitet, den Bürgern eine echte Alternative zu bieten und wir sind von politischen Neulingen zu einer vollwertigen Partei mit einem starken Programm geworden. Jetzt ist _eure_ Zeit gekommen: macht die PIRATEN zu einer politischen Macht, die wahrgenommen werden _muss_! Geht wählen, jeder Änderhaken auf dem Wahlzettel ist eure Stimme für einen Wechsel in der politischen Landschaft!
Unsere Anstrengungen enden nicht am Sonntag, sie fangen am Sonntag erst richtig an, denn das ist der Tag, an dem wir eine "etablierte" Partei werden. Mit genug Glück habt ihr in eurem Wahlkreis sogar einen Direktkandidaten der PIRATEN, könnt uns sogar doppelt so stark machen, damit wir positiven Einfluß nehmen können auf die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft.
Klarmachen zum Ändern!
Ich füge noch getreu dem Original hinzu:
Seid stolz, Piraten zu sein!