Mittwoch, 10. Februar 2010

Der Fall Hegemann aus mittelalterlicher Sicht

Es ist ein Wunderkind, namentlich Helene Hegemann, vom Feuilleton erst in den Himmel gelobt und dann des Plagiats überführt worden. Aus der Sicht eines Mediävisten ist dieser Vorwurf interessant bis fragwürdig:

Es wurden schon immer Texte, verbal überliefert oder schriftlich fixiert, kopiert, verändert, weiterverarbeitet, zitiert und verballhornt. Oft ohne Angabe der Urheberschaft einer verwendeten Quelle. Warum? Die Urheberschaft war die meiste Zeit nicht wichtig. Wichtiger war das Werk selbst, den Wert den der Text darstellte. Wissenschaftliche Werke, diese haben hier einen anderen Stellenwert, bilden hier vielleicht eine Ausnahme. Religiöse Texte bekannter Ordensbrüder ebenfalls. Die Unterhaltungsliteratur hingegen, wozu Hegemanns Text sicherlich zählt, war nicht dafür bekannt sich um irgendwelche Urheber zu scheren. Oftmals wurden diese auch anonym überliefert, wie beispielsweise das Nibelungenlied:

Dieses sehr bekannte und immer wieder rezipierte Stück aus dem Jahre 1200 speist sich aus einigen Quellen der frühen höfischen Romane und selbstverständlich auch der Sagenwelt. Vor allem nordische Sagen werden vom unbekannten Autor herangezogen. Man kann hier beispielsweise die Edda aus dem 13. Jahrhundert nennen. Hierbei handelt es sich um eine Sammlung alt-nordischer Götter- und Heldensagen. Gleichzeitig gibt es noch das Walthari-Lied aus dem 10. Jahrhundert, welches Ähnlichkeiten bezüglich der Namen von Charakteren etwa aufweist. Diese Quellen haben den Epos zu dem gemacht, was er ist. Die Nibelungen sind ein Gemisch an fremden Stoffen, die zu einem geballten Werk an Drama und Krieg zusammengefügt worden sind. Der epische Stoff wurde zudem mit den Nibelungen noch lange nicht ad acta gelegt. Es gibt bis heute Adaptionen, Spin-Offs und prachtvolle Opernversionen dieses Stücks. Fragmente, Vermischungen und Verfremdungen inklusive.

Daher empfinde ich die ganze Debatte um "Axolotl Roadkill" gar nicht erst so richtig. Ja, Urheberrecht hin oder her, kopiert wurde schon immer. Zum Plagiat wurden Kopien erst durch die entsprechende Gesetzgebung.

Allein der Fakt, dass mit dem Werk Geld gemacht wird, bringt von mir Verständnis für den Blogger Airen auf. Allerdings klinkt sich dann ein zweiter Gedanke ein, nämlich der der Abhängigkeit von Geld und Kunst im Kulturbetrieb. Wären Airen und Hegemann Autoren mit Salär von einem mittelalterlichen Mäzenen, würde diese Diskussion sicher nicht in dieser Gestalt so toben. Damals wurden Stoffe erst zu „Bestsellern“ in dem diese von Schreiberling zu Schreiberling kopiert und wieder kopiert wurden. So verbreitete sich Information und Kultur durch die Lande.

Aber wir sind nun einmal nicht mehr in der ursprünglichen, kulturellen Ursuppe. Das Copyright hat nun einmal (noch?) seine Gültigkeit. Doch dank des Internets, nimmt sich die Natur wieder raus, so zu sein wie sie schon immer war. Wuchernd, unberechenbar und irgendwie immer schön. Genauso wie die berühmte, überwuchernde Fabrikruine.

Es ist daher vielmehr an der Zeit sich kulturwissenschaftlich mit dem Copyright auseinandersetzen und mit dem Konzept des geistigen Eigentums. Wenn ich mal mit der Memetik argumentiere, sind wir alles nur Vehikel für die Kulturgene namens Meme. Daher hat Hegemann nur sich einen sehr gemixten Erguss geleistet, nachdem sie sich an Airens Werk gelabt hat.