Selbstverständlichkeiten (?!) unter der Lupe
Liebe Leute,
heute durfte ich mal wieder einen Text zum Thema "Frausein" lesen. Dieser stammt
J. Schramm, ist auf jeden Fall lesenswert, vor allem der erste Absatz. Mit diesem ersten Absatz kann ich was anfangen und auch Parallelen zum eigenen Wahrnehmen finden. Auch ich kenne es, in reinen Frauengruppen einfach nicht wirklich hineinzupassen. Diese teilweise sehr erschütternden Erlebnisse habe ich über die Jahre beobachtet, Menschenkenntnisse gesammelt und dann nach und nach für mich im stillen Kämmerlein analysiert.
Es ist sehr praktisch, trotz der Wut auf "Frauen" die bei Zeiten nicht selten hoch kam, einmal die altgediente Vogelperspektive einzunehmen. Der erste Knackpunkt für mich war, dass ich mich mit der Zeit immer mehr als Mensch seltsam bis schlecht behandelt fühlte, nicht als Huhn am untersten Rang einer Hackordnung. Je mehr ich mir dann dieses Menschendaseins bewusst wurde, desto einfacher war es auch in einer Situation mit unangenehmem Damengefüge die innere, geistige Oberhand zu behalten. Wo ich als weibliches Körpervehikel angegriffen wurde, welches sich frecher weise den unausgesprochenen, subtilen Regeln nicht fügt, war der Mensch in mir der stille Beobachter. Um die Situation sehr plastisch darzustellen, ist es für eine Person wie mich in manchen Frauengruppen wie das Dasein eines Migrantenkindes mit zwei Heimatregionen. Man ist im Land der Geburt irgendwie fremd, in der Heimat der Eltern auch nicht wirklich ein Dazugehöriger. Andererseits hat man manchmal sehr schöne Begegnungen mit Menschen die die jeweilige Region in der man grad nicht ist, sehr mögen und man daher bewusst oder unbewusst auf Dinge diesbezüglich angesprochen wird.
So geht es mir manchmal mit Männern. Ein paar mal wurde ich von Menschen mit XY Chromosomen ohne Hintergrund einer sexuellen Anbahnung auf Pornographie angesprochen. Klassische, klischeehafte Männerbastion, obwohl dies in heutigen Zeiten mehr auf einen Mythos basiert. Typische Gespräche unter Nerds zu fortgeschrittener Stunde ergaben dann auch gern mal Diskussionen zum Pornokonsum. Meist kommen solche sehr spontane Situationen mit sehr freigeistigen Hodenträgern auf, die eher mein Dasein als meine Brüsteträgerschaft beachten. Genauso werde ich nicht selten in hitzige Fussballdebatten (ich bin Freiburg und Dortmund Fan) hineingezogen oder auch auf Tanzflächen zum Wettpogen aufgefordert. Es macht menschlich einfach Spaß diese Momente zu genießen, vor allem wenn ich zufällig einen Rock trage.
Ich wurde mir bei der Betrachtung beider Situationen in den jeweiligen Geschlechtergruppen nach und nach bewusst, dass es hier um kulturelle Register geht, die hier gezogen werden. Der Genderbegriff von Butler ist mir hier zu starr, denn es fehlt ihm für mein Empfinden einfach an Dynamik bezüglich der Anwendung. Als Denkbasis ist dieser jedoch sehr geeignet um einzusteigen.
Männliche Eigenschaften, Tätigkeiten oder Interessen, genauso wie die der weiblichen sind doch einfach gleichzusetzen mit nationalen Dingen die die jeweilige Identität stiften. Wie oft krieg ich sehr nette Männer mit, die ganz stolz aufs Rülpsen, Furzen und Biertrinken als "männliche" Identitätsmerkmale, wie ein Türke auf Atatürk. Dabei hält die Realität bezüglich dieser Identitätsregister an denen viele sehr vehement festhalten, ganz andere Dinge bereit die gern übersehen werden. Die Identität könnte ja stiften gehen. Wir sehen das doch auch in der aktuellen Integrationsdebatte. Deutsche Leitkultur hier, Parallelgesellschaften dort. Genauso ist es mit den Menschen und seinen zwei biologischen Geschlechtern die sich ganze globale Kulturen aufgebaut haben. Was Geschlechterdenke angeht, geht sicher beispielsweise jeder religiöse Fundamentalist oder Konservative (und umgekehrt) jeglicher Region auf dieser Erde mit dem Anderen eher d'accord als zu manch anderen Fragen. Da pack ich mir ganz feierlich an den Kopf. Einerseits weil mich das noch mehr ins Grübeln bringt und auch gleichzeitig immense Kurzsichtigkeit vor mir ausgebreitet liegt.
Diese Erkenntnisse konnte ich dann sehr gut nutzen um unangenehme Situationen in reinen Frauengruppen stilvoll zu meistern. Ich lernte einfach die richtigen Register zu ziehen und schon lernte ich auf diese Weise wunderbare Damen, kennen die mich schon Jahre begleiten. Ich hatte auch ein wunderbares, mehrere Staffeln anhaltendes Tutorial: Sex and the City. Wenn immer ich mehr über weibliche Sozialgefüge lernen wollte, schaute ich mal was Carrie und Co so treiben. Diese Serie ist trotz der vielen oberflächlichen Klischees eine wunderbare, ironische und meisterhaft gestaltete Darstellung der modernen Weiblichkeit. Ein Portrait sozusagen, mit liebenswerten Manierismen. So wurde dann aus mir jemand der shoppen *und* shoppen kann. Beides führt zu wunderbar schicken und/oder lustigen Ergebnissen. Sei es vor dem Spiegel in der Boutique oder am heimischen Monitor.
Um noch einmal die Serienkultur zu bemühen, gibt es eine Figur die kulturelle Register, sei es geschlechterbezogen oder auch kulturell, gerne auch ineinander verschränkt, situationsbedingt aus dem Ärmel schütteln kann: Die Figur Dax* aus Deep Space Nine mit dem unvergleichlich weiblichen Äußeren aber den Erinnerungen und dem Wissen von Männlein und Weiblein und irrsinnig vielen kulturellen Details aus vielen Regionen und Zeitaltern. Anhand von Dax erkennt man wunderbar, wie scheinbar gebundene (lokal, geschlechtlich, altersbedingt, etc.) kulturelle Register aufgrund eines eigenen Erfahrungsschatzes über den eigenen Grenzen hinweg von ihren Ursprüngen losgelöst werden können.
Die Situation des Körpers an sich kann durch Wissen, Bildung, Erfahrung daher nicht nur lediglich im Sinne akademischer oder beruflicher Ziele erweitert werden, sondern auch das rein selbstverständliche vom Leben lernen sollte noch viel tiefer begriffen werden. Das Lernen vom Leben kann daher auch mit methodischem Denken gekoppelt viele Probleme des gesellschaftlich-kulturellen Lebens lösen. Dies ist scheinbar sicher für viele erst mal eine Selbstverständlichkeit. Vor allem wenn man an das Lernen über verschiedene Länder, verschiedene Traditionen oder auch Gewohnheiten diverser sozialer Milieus denkt. Die Gender-Theorie von Butler hat auf Geschlechter bezogen, sehr wertvolle Dienste geleistet um Geschlechterkulturen zu analysieren. Doch haben sich meinem Erachten nach einige nach dem Konsum dieser geistreichen Schriften analysierend in ihr Territorium verbissen und das jeweilig Anderen genauso zu Tode analysiert. Das darüber hinaus denken und agieren schwang schon immer mit, doch ist dies für mein subjektives Empfinden manchmal auf der Strecke geblieben.
Angewendet auf mein eigenes Leben ist dieses Dax-Prinzip wie ich es hier nun nenne, sehr aufschlussreich: Großgeworden in einem äußerst kulturell vielfältigen Haushalt als Migrantenkind in Deutschland, mit Eltern die Geschlechterklischees schlicht nicht für wichtig erachten (Wenn Mutter und Vater beide gerne heimwerkeln, an Autos schrauben, Rechner bedienen, vorzüglich kochen und den Haushalt schmeissen ist das auch kein Wunder.) bekommt man eine Fülle an kulturellen Registern in den Schoß gelegt, jedoch ohne vorherige Wertung. Man lernt lediglich den Ursprung des jeweiligen Registers. Schon als Kind bin ich mit diesen umgegangen wie mit den abertausenden von Schallplatten in der elterlichen Wohnung: Nach Lust und Laune habe ich Musik gehört, nach Lust und Laune war ich entweder "Junge" oder "Mädchen, "Prinzessin" oder "Pirat", "Engländer" oder "Deutscher". Erst die Konfrontation mit dem Rest der Welt brachte erst Ernüchterung, dann Erfahrung und schließlich die sprichwörtliche Glühbirne über dem Kopf zum leuchten.
Wir haben es einfach mit kulturellen Registern oder auch um es mit einem derzeit populären Wort zu sagen, Memen zu tun, welche zwar gerne in ihren Memplexen bleiben aber nach einem Auslauf an der frischen Luft auch mal gerne sich mit vielen anderen Memen sehr dynamisch gruppieren können. Das Internet, für mich das größte Weltwunder unserer Zeit, vielleicht aller Zeiten, ist ein ein anschauliches Beispiel für memetische Migration und Durchmischung. Das ist auch das Geheimnis guter Diplomatie, welche nicht darauf angewiesen ist in eigenen Kabelbiotopen verschiedener Staaten rumzudümpeln, um sowieso an die Öffentlichkeit gerissen zu werden. Wissen ist Menschlichkeit. Ich bin ein Mensch und ich will jeden Tag mehr erfahren und lernen. Daher ist mir das Korsett eines weiblichen, deutschen, englischen oder europäischen Memplexes einfach zu beschränkt.
*
Dax ist ein fiktiver Symbiont, welcher in verschiedenen Wirtskörpern lebt und somit diese auch überlebt. Die Erinnerungen der jeweiligen Wirte werden übertragen und diese profitieren von dem erweiterten Wissen und Erfahrungen die ihnen fast per "Download" nach dem Einsetzen des Symbionten einverleibt werden. Mehr dazu hier.